ARC+: Fair Winds and Following SEAS

Mein vorerst letztes, aber auch bisher größtes Abenteuer, soll eine Atlantiküberquerung in Form der ARC+ (Atlantic Rally for Cruisers) sein. Auf diese aberwitzige Idee hat mich ein Skipper gebracht, dem ich bei einer Bootsüberführung geholfen habe. Also suche ich auf Crew-Portalen nach geeigneten Angeboten. Da die Rally Anfang November startet, sind viele Skipper im Herbst noch auf der Suche nach helfenden Händen für die Reise. Allerdings ist es auch gar nicht so einfach, das passende Boot zu finden: Zusammensetzung, Ambitionen, Kostenaufteilung und Zeitraum müssen für alle Beteiligten auch passen. Nach relativ kurzer Suche finde ich aber eine Anzeige von einem englischen Skipper, der nach Crew für die ARC+ sucht. Diese Rally startet von Las Palmas auf Gran Canaria und geht über die Kap Verden nach Grenada in die Karibik.

Ich treffe mich mit dem Skipper Paul und der restlichen Crew Ende Oktober zunächst in Lanzarote zur Vorbereitung und zum Kennenlernen. Mit dabei ist noch Becky, die auf gleichem Wege wie ich zu dem Törn gekommen ist und eigentlich wäre auch Kelsey dabei, aber sie konnte bis zum Schluss leider nicht kommen. Da Paul und Becky aus England kommen, ist unsere Bootssprache Englisch. Für mich manchmal eine Herausforderung, vor allem wenn es um Fachbegriffe auf dem Boot oder spezifische Themen wie Lebensmittel geht, aber ich versuche mich wacker zu schlagen. Nach kurzer Besichtigung von Lanzarote legen wir abends ab Richtung Las Palmas und werden direkt die erste Nachtfahrt bestreiten, um uns auf die vielen weiteren bevorstehenden vorzubereiten. Dabei sieht der Schichtplan für unsere 3er-Crew eigentlich sehr simpel aus: 3 Stunden Wache und 6 Stunden „frei“, in denen man schläft, isst, liest oder auch kocht. Am nächsten Tag kommen wir schon im Hafen von Las Palmas an und müssen erstmal den Liegeplatz finden, der uns zugeteilt ist. Da alle Boote der Rally von diesem Hafen starten, sind die meisten Plätze dafür speziell reserviert und man hat genug Möglichkeiten, die anderen Teilnehmer kennenzulernen. Wir müssen aber feststellen, dass unser Liegeplatz eher ungünstig gelegen ist und sich alle Einrichtungen, inkl. Toiletten, Restaurants und Shops, mindestens 600 Meter weit weg befinden. Ich komme in diesen 2 Wochen in Las Palmas daher auf einen Durchschnitt von 12000 Schritten am Tag. Ich frage mich, ob die Veranstalter ihre TeilnehmerInnen absichtlich fit halten möchten.

Auf Las Palmas steht in zwei Wochen viel auf dem Programm, tägliche Sundowner-Drinks, Crew-Dinner, eine Motto-Party, aber auch Sicherheits-Checks und Vorbereitungsseminare. Ziel des ganzen Programms ist es einerseits, die Crews von anderen Booten kennenzulernen und sich zu vernetzen, aber andererseits auch, eine sichere und gut vorbereitete Atlantik-Überquerung zu ermöglichen. Die ARC+ wird seit 1986 veranstaltet und es gibt vor Ort Helfer, sogenannte „Yellow-Shirts“, die entsprechend gekleidet sind, und das ganze Programm organisieren. Zwei Wochen Vorbereitungszeit erscheinen erstmal viel für mich – da könnte zeitlich ein ganzer Urlaub reinpassen. Zum Glück haben wir auch keine Probleme auf dem Boot und dementsprechend genug Zeit, um alles für den Trip einzukaufen, ein bisschen die Stadt anzusehen und natürlich am ARC+ Programm teilzunehmen. Andere Crews haben zum Teil aber leider technische Probleme und benötigen die Zeit, um ihr Boot fit zu machen. Zum Beispiel treffen wir direkt bei unserer Ankunft auf ein kanadisches Boot, das auf dem Weg nach Las Palmas leider den Autopiloten und Windanzeiger verloren hat und die nächsten Tage mit diesem Problem beschäftigt ist. Mit dieser Crew verbringen wir im Hafen viele Abende, da Becky ein Crew-Mitglied bereits von einem anderen Segelrennen kennt und wir uns alle super verstehen. Um aus dem Marina-Kosmos auch manchmal etwas auszubrechen, spaziere ich auf die andere Seite von Las Palmas, an dem die Surfer sich täglich treffen. Las Palmas ist ein beliebter Spot für Surfer, bei dem sich der Beachbreak in direkter Nähe zum Stadtzentrum befindet und auch viele Einheimische am Wochenende oder nach der Arbeit unterwegs sind.

Nach vielen Sundowner-Drinks, einer legendären Motto-Party (Great 70ies Disco Party) und unzähligen zurückgelegten Schritten ist es aber schließlich so weit und wir starten unser Atlantik-Abenteuer. Start ist punktgenau am 06.11.2022 um 13 Uhr für die Monohull-Division, die Multihull-Division startet bereits um 12:45 Uhr. Der Wetterbericht hatte bereits eher laue Winde angesagt und es ist tatsächlich ein sehr träger Start. Die ersten Stunden scheinen wir und das ganze Feld nicht sehr viel voranzukommen. Gott sei Dank ändert sich das aber zur Nacht hin als wir aus dem Windschatten der Insel herauskommen und wir nehmen Fahrt auf. Die ersten Nächte haben wir vollen Mondschein und super Bedingungen. Unsere Taktik ist natürlich aufgrund der Windvorhersagen den bestmöglichen Kurs zu fahren, um möglichst flott unterwegs zu sein. Da der Wind von hinten kommt, müssen wir immer wieder mal halsen (das Boot mit dem Heck durch den Wind drehen). Aufgrund unseres gut durchdachten, aber nicht einfachen Segelplans ist das eine langwierige Angelegenheit, die viel Konzentration erfordert. Ich erspare Details, aber kann verraten, dass mehr als 10 Leinen am Boot bedient werden müssen – mit nur 2 oder 3 Leuten eine Herausforderung. Das erste Mal halsen wir in der Nacht und aufgrund einer kleinen Fahrlässigkeit meinerseits löst sich eine Leine und der Baum des Bootes schwingt zurück und dabei prallt die Großschot volle Kanne gegen meinen Oberarm. Ich bekomme einen riesigen blauen Fleck und auch noch ein bisschen mehr Respekt vor dem Ganzen. Glücklicherweise bleibt das aber die einzige nennenswerte Blessur. Für die nächsten fünf Tage haben wir außer dem Meer nur unsere AIS-Anzeige im Blick, auf der wir noch ein paar weitere Boote unserer Rally tracken können. Dabei ist für uns natürlich immer interessant wo diese sich gerade befinden und mit welcher Geschwindigkeit sie fahren. Vielleicht haben sie ja ein bisschen stärkeren Wind als wir? Ein unausgesprochenes Rennen liefern wir uns mit einem befreundeten Boot, das in Typ und Länge genau unserem entspricht. Wie könnte es anders sein. Dementsprechend stolz sind wir, als wir am 11.11. abends kurz vor besagter Konkurrenz die Marina Mindelo auf São Vicente erreichen und von den ARC+ Yellowshirts in Empfang genommen werden.

Die Marina Mindelo hat zum Glück Schwimmstege, die auf dem Wasser aufliegen, wodurch sich die Landkrankheit einigermaßen in Grenzen hält. Die Marina ist nicht sehr groß und beheimatet in dieser Woche auch nur die Boote unserer Rally, sodass wir von lauter bekannten Gesichtern umgeben sind und man ständig Leute trifft, die nach und nach mit ihren Booten eintreffen. Die „Floating Bar“ ist dabei ein Hot-Spot, an dem man nicht vorbeikommt, ohne einen kurzen Plausch mit einer befreundeten Crew geführt zu haben. Daher wundert es auch nicht, dass die Woche recht schnell vorbeigeht. Trotzdem nutzen wir natürlich die Zeit für ein paar Entdeckungen und sehen uns die Insel São Vicente und auch die Nachbarinsel Santo Antão an. Die verschiedenen Inseln der Kap Verden sind landschaftlich sehr unterschiedlich: São Vicente wirkt eher wie eine hügelige Staub-Wüste und Santo Antão ist überraschend grün und hat sehr steile Berge. Wir verbringen dort einen wirklich eindrucksvollen Tag mit atemraubenden Aussichten. Ich nutze den Aufenthalt auf den Kap Verden zudem noch, um einen Frisör aufzusuchen, der etwas überfordert ist mit Art und Form meiner Haare und mir einen etwas fragwürdigen Haarschnitt verpasst. Für 2€ kann man das schon mal machen, immerhin sind sie jetzt etwas kürzer.

Nichtsdestotrotz geht unsere Reise am 18.11. weiter und diesmal wird es länger dauern, bis wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, immerhin liegen mehr als 2000 Seemeilen vor uns. Der Start ist jetzt auch alles andere als gemächlich – bis zu 35 Knoten Wind erwarten uns in den ersten Tagen. Die ersten Stunden scheint unser Boot nur so zu fliegen, abgesehen von einer kurzen Phase, in der wir in der Windabdeckung einer Insel sind. Leider verbringe ich diesen ersten Tag eher unter Deck, da mir das Essen in der Marina Mindelo etwas zugesetzt hat. Apropos Essen – zum Glück haben wir für die ersten Tage etwas vorgekocht, denn kochen erscheint unter diesen Bedingungen fast unmöglich. Jeder Gegenstand, der nicht irgendwie fixiert ist, droht wegzurutschen oder umzufallen. Es ist schon eine Leistung, den Kühlschrank aufzumachen, ohne dass der gesamte Inhalt dessen herausfällt. Wir führen unser Wachsystem im 3-Stunden-Rhythmus fort. Meistens vergehen diese 3 Stunden auch recht schnell, da man gar nicht merkt wie die Zeit vergeht, wenn man auf das offene Meer schaut. Besonders in der Nacht ist es aber auch oft zäh und man ist froh, wenn man abgelöst wird.

Die ersten Tage vergehen und nach und nach verschwindet ein Boot nach dem anderen von unserer Anzeige, bis wir schließlich gar keines mehr sehen. Über Satellitenempfang bzw. SSB-Antenne bekommen wir aber trotzdem täglich Infos mit der Position von einigen Booten und unserem Rang. Bisher sieht es auf jeden Fall gut aus, wir sind die ersten in unserer Division! Das versuchen wir die nächsten Tage zu halten. Die Bedingungen sind konstant gut, der Wind flacht zum Glück etwas ab und es gibt keine nennenswerten Regenschauer. Das geht aber leider nicht jedem Boot so, wir bekommen von anderen Booten mit, dass sie in kleinere Unwetter geraten sind. An einem Tag herrscht helle Aufregung auf unserem Boot, als wir endlich einen Fisch fangen. Aber nicht nur einen, sondern gleich zwei auf einmal! An die Angel gegangen sind zwei Wahoos von nicht geringem Ausmaß. Unser Skipper hat alle Hände voll damit zu tun, sie an Deck zu bringen. Zum Glück gelingt es ihm und wir hätten nun genug Fisch, um davon jeden restlichen Tag zu essen. Einiges frieren wir aber ein, zu viel ist schließlich auch nicht gut.

Nach einigen weiteren Halsen, vielen fliegenden Fischen, die auf dem Deck landen und mehr oder minder spektakulären Sonnenauf- und untergängen, kommt Grenada endlich in Sicht. Kaum zu glauben, dass da tatsächlich wieder Land ist, nachdem man die letzten Tage nur das große Blau gesehen hat. Wir umrunden die Südspitze der Insel, passieren die Ziellinie und kommen schließlich am 30.11. um ca. 09:30 morgens an. Das Begrüßungskomitee der ARC+ und einige Marina Mitarbeiter sind bereits am Steg, um uns mit Rum Punch willkommen zu heißen, so wie es sich auf der Insel eben gehört. Auch ein paar Crews der umliegenden Boote sind vor Ort und wir freuen uns so sehr darüber, bekannte Gesichter zu sehen! An diesem Tag wird natürlich erstmal ausgiebig gefeiert um sich von den Strapazen zu erholen.

Die nächsten Tage sind wir damit beschäftigt, das Boot aufzuräumen und zu putzen. Das ganze Salzwasser muss aus den Leinen und vom Deck bestmöglich entfernt werden. Außerdem beobachten wir natürlich gespannt, welche Boote nach uns in dem Hafen ankommen und begrüßen die Crews. Alle sind heilfroh angekommen zu sein. Wir hören uns gespannt an, was die anderen von ihrer Überfahrt berichten. Dabei sind wiederkehrende Themen die Anzahl gefangener Fische, die besten an Bord gekochten Gerichte, Sichtung von Walen oder Delfinen, die Wahl der Segel und die schönsten Sonnenuntergänge. Nach 9 Tagen, die wir in der Marina, am Strand oder mit der Erkundung der Insel verbringen, findet die ARC+ leider ein Ende. Abschluss ist die Siegerehrung, bei der die Gruppensieger, das schönste Boot, die besten Schnappschüsse und Logeinträge geehrt werden. Wir haben unsere Division tatsächlich gewonnen und können damit sehr stolz auf uns sein.

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